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  • AutorenbildMiss Cooper

Heinrich Böll - Ansichten eines Clowns

Aktualisiert: 30. Okt. 2022


Roman

Originalausgabe : 1963

Verlag : Insel-Verlag Leipzig




Rezension:

Deutschland 1963, achtzehn Jahre sind vergangen seit der Krieg verloren und beendet wurde. Infrastruktur, Wirtschaft und die staatliche Ordnung wurden weitestgehend wieder hergestellt. Die Bundesrepublik Deutschland erlebte ein außergewöhnliches

Wirtschaftswachstum, das „golden age of capitalism“. Die soziale Marktwirtschaft hatte sich bewährt - freier Markt, freier Handel, allerdings mit sozialer Verantwortung und Fürsorge auch den Ärmeren gegenüber. Unter Konrad Adenauer und der regierenden Partei der CDU entstand ein neues, demokratisches Deutschland, welches sich als stabiler Staat bezeichnen konnte. Doch auch Tugenden wurden großgeschrieben. Es galten Fleiß, unbedingter Gehorsam und Achtung vor Institutionen, wie Polizei und Kirche. Inmitten diese Zeit polterte Heinrich Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ und erntete dabei nicht nur positive Kritik. Besonders in den Reihen der Katholischen Kirche kam es dabei zu Aufruhen. Unter dem Deckmantel einer Liebesgeschichte, ist es doch eine unterschwellige Parabel die sich mit der Doppelmoral und dem Lebensstil der katholischen Gesellschaft auseinander setzt und die Oberflächlichkeit und Heuchelei seiner Mitmenschen anprangert.


Es ist ein einziger Tag den ich mit Hans Schnier, Alter 27, von Beruf Clown, offizielle Berufsbezeichnung Komiker, keiner Kirche Steuerpflichtig, verbringe. Einem Mann hinter dessen, aus dicker Fettschminke bestehenden fröhlichen Fassade es kriselt. Und der sich der schlimmsten aller Clown Sünden schuldig macht - Mitleid zu erregen. Während seiner Auftritte lacht er nicht nur über seine eigenen Witze, sondern ist auch so betrunken, dass er von der Bühne stürzt. Die Presse zerreißt ihn in der Luft, die Folge daraus ist das ausbleiben sämtlicher Engagements. Wie konnte es nur soweit kommen? War es doch immer sein Traum Clown zu werden und den Menschen Freude zu bringen. Um seinen Traum zu verwirklichen brachte er sogar seine Eltern gegen sich auf, denn denen war es gar nicht recht das er als Sohn eines reichen Protestantischen Braunkohle Aktionärs mit zwanzig die Untersekunda verlässt um Clown zu werden und zu allem Übel auch noch mit einem katholischen Mädchen durchbrennt, um mit ihr in wilder Ehe zu leben. Sie machen ihm unmissverständlich klar das er keine finanzielle Zuwendung zu erwarten braucht, schlimmer noch, sie verstoßen ihn. Er nimmt es in kauf, hat er seiner Mutter doch eh nie verziehen das sie seine Schwester an die Front und somit in den Tot geschickt hat. Das erste Jahr leben Marie und er in ständiger Geldnot, doch sie sind glücklich und als die lukrativeren Engagements kommen und beide ein Luxuriöseres leben führen, welches darin besteht von Stadt zu Stadt und Hotel zu Hotel zu ziehen, sind sie immer noch glücklich. Schniers Welt stürzt ein, als Marie ihn aus heiterem Himmel verlässt um Züpfner, einen angesehenen katholischen Funktionär zu heiraten, der sie zu seiner „First Lady“ macht. Seine Lösung, Alkohol. Doch auch dies ist nur ein kurzweiliger Ausweg. Nun kämpft er nicht nur mit seinen um Marie kreisenden Gedanken, sondern auch mit Kopfschmerzen und Melancholie.


„Ich gurgelte mit einem Rest Schnaps nach, schminkte mich mühsam ab, legte mich wieder ins Bett und dachte an Marie, an die Christen, an die Katholiken und schob die Zukunft vor mir her. Ich dachte auch an die Gossen, in denen ich einmal liegen würde. Für einen Clown gibt es, wenn er sich den fünfzig nähert, nur zwei Möglichkeiten: Gosse oder Schloß.“

Er sucht einen Schuldigen für Maries plötzlichen Wandel und findet ihn in Form der Katholischen Kirche und dem „Kreis“ in dem sie sich bewegt. Der „Kreis“ bestehend aus einer Gruppe von Katholiken, beäugte ihre gemischt konfessionelle außereheliche Liaison argwöhnisch und drängte Marie förmlich dazu zu heiraten. Schnier begriff den nutzen einer Ehe nicht, für ihn war sie auch ohne Trauschein seine Frau. Sie liebten sich und das war es was für ihn zählte. Sie allerdings wollte nicht länger in Schande leben. Als er von seinem letzten erfolglosen Auftritt in seine Bonner Wohnung zurückkehrt, leidet er nicht nur an körperlichen Schmerzen, sondern auch an Seelischen. Ohne Geld und die Aussicht auf Engagements überlegt er, wen von seinen Freunden er um Geld bitten könnte. Sie alle bekunden zwar ihr Mitgefühl was seine Situation angeht, doch gleichzeitig überschütten sie ihn auch mit Vorwürfen und Belehrungen. Schnier fühlt sich unverstanden und einsam, denn nicht einmal sein Vater ist bereit ihm einen monatlichen Betrag zukommen zu lassen, ohne Bedingungen daran zu knüpfen. Gegen den Rat seines Agenten beschließt er als Straßenmusiker seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.


„Ansichten eines Clowns“ nahmen mich wirklich ungewöhnlich lange in beschlag, nicht das es einen komplizierten Syntax beinhaltet oder mit unnötigen Phrasen um sich wirft, im Gegenteil, es ist simpel und klar verfasst. Dennoch wurde ich mit Bölls Roman nicht warm. In der Ich- Perspektive geschrieben geht es um einen einzigen Nachmittag, während dem ich in die Gedankenwelt von Hans Schnier eintauche. Ein Roman ohne Höhepunkte. Vermutlich ist es aber einfach dem Thema geschuldet. Nachkriegsliteratur. Ein Genre was ich schon immer als schwer verdaulich empfand und diese bleierne Schwere spürte ich auch deutlich in diesem speziellen Werk. Da ich allerdings der Meinung bin, dass es jedes Buch, welches einmal begonnen wurde, es auch verdient, bis zum Ende gelesen zu werden, konnte ich auch dieses nicht einfach wieder weglegen. Eine Flut innerer Monologe, erinnerter Vergangenheiten und Kontroversen mit den unterschiedlichsten Figuren stürzt auf mich ein. Hintersinnige Spitzen in Richtung der Katholische Kirche und der

Nationalsozialistischen frömmelnden Gesellschaft werden fallen gelassen. Schniers angriffslustige Gedanken springen von einem Thema zum nächsten und beinhalten so viele Personen, das ich zum Teil gar nicht hinterherkomme zu entschlüssen wer wer ist. Auch wenn es ein mühsamer Weg war, bin ich froh ihn gegangen zu sein, denn erst jetzt erschließt sich mir der Kontext, das was Böll mit seinem Roman eigentlich ausdrücken wollte. Schon die Wahl seinem Protagonisten die Gestalt eines Clowns zu verleihen, dem Inbegriff der Scheinheiligkeit, drückt für mich großes können aus. Ein Clown, ausgestoßen von der Gesellschaft, der seinen Mitmenschen moralisch doch um ein vielfaches überlegen ist und der trotz seiner desolaten Situation und allen Widrigkeiten sich selbst treu bleibt. Ungeachtet aller Tristesse musste ich doch an einigen stellen schmunzeln. Ich kann nicht behaupten das ich die „Ansichten eines Clowns“ verschlungen hätte, aber es hat mich zum Nachdenken angeregt - über soziologische Aspekte, die Religionsverschiedenheit und ein vom Nationalsozialismus geprägtes Deutschland.

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