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  • AutorenbildMiss Cooper

Martin Schörle - Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten / Einladung zum Klassentreffen



1. Auflage : 2016

Verlag : Engelsdorfer Verlag Leipzig


Klappentext:

Der kabaretteske Monolog „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“ beschert dem geneigten Leser Einblicke in das Leben des Vollblutverwaltungsgenies Hans Fredenbek, der sich in seinem ganz eigenen Gedankengewirr aus Aktenzeichen, Dienstverordnungen, statistischen Erhebungen zusehen verhededert. Es wird deutlich, dass er sich von dem Leben jenseits seines Büros nahezu völlig verabschiedet hat. Vor allem aber wird schonungslos aufgedeckt, dass es zwischen Slapstick und Tragik eine Nahtstelle gibt. Und dass diese Nahtstelle einen Namen hat. Und dass dieser Name Hans Fredenbeck ist.


„Einladung zum Klassentreffen“ In ihrer Schulzeit hatten Marina und Carsten eine Liebesbeziehung. Nach 20 Jahren soll ein Klassentreffen stattfinden. So meldet sich Carsten, einer der Initiatoren, auch bei Marina, deren Leben nach Schicksalsschlägen zeitweilig aus den Fugen geraten war. Die gemeinsame innige Zeit ist für sie längst Vergangenheit, ein Früher. Aber an Carstens Gefühlen hat sich anscheinend nichts geändert. Sein Anruf weckt auch bei Marina Erinnerungen. Das unverfänglich begonnene Telefonat führt beide in ein Wechselbad der Gefühle… Inhaltlich eine Liebesgeschichte wagt das Stück den Spagat zwischen

Komik & Tragik, Lachen & Weinen.





Rezension:


Sobald das Licht in den kunstvoll verzierten Lampen an den Wänden gedimmt wird, verstummt auch langsam das baritonartige Gemurmel im Saal. Helles Scheinwerfer Licht erleuchtet nun eine kleine Bühne. Der gepolsterte Sitz fühlt sich etwas durchgesessen an und auch die Knie stoßen fast an den vorderen Sitz. Es macht nichts, denn der schwere rote Vorhang öffnet sich in diesem Moment majestätisch zu beiden Seiten. Allein das ist schon eine beeindruckende Inszenierung. Der erste Akt beginnt und der Alltag verblasst. Wir beobachten die Akteure auf der Bühne, wie sie dabei sind eine magische Atmosphäre für uns zu schaffen. Wir leiden, lieben und freuen uns mit ihnen. Ein Theaterbesuch, für viele mehr als nur stillsitzen und zusehen. Es ist etwas besonderes, fast ehrfürchtiges. Wo sonst verbindet sich etwas so altes, mit dem modernen Zeitgeist. Doch wie nehmen wir ein Stück, welches sonst einem erwartungsvollen Publikum präsentiert wird wahr, wenn es diese Bühne verlässt und als reine Textform dargelegt wird? Ist es möglich diese Dramaturgie einzufangen? Martin Schörle jedenfalls hat es gewagt und zwei seiner Theatertücke, samt Regieanweisung in literarischer Form herausgebracht.

Vorhang auf für „Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten“. Auftritt Hans Fredenbek. Einem Vollblutbeamten wie er dem Lehrbuch entsprungen sein könnte. Einem, der sein Leben den Akten, Statistiken und Vorschriften verschrieben hat. Einem Endvierziger ohne große Ambitionen, der nur Dank der Regelbeförderung eine herausgehobene Position erreicht hat und seine Arbeitstage in einem trostlosen Büro verbringt. Hans Fredenbek allerdings ist damit vollauf zufrieden, mehr noch, es erfüllt ihn. Ohne seine Arbeit fühlt er sich verloren und aller Freude beraubt. Freizeit ist für Fredenbek folglich schier unerträglich. Jedes Jahr muss er mit seiner Frau verreisen, die Wahl fällt immer auf den selben Italienischen Ort.


„Überall entspannte, urlaubsgebräunte, gut gelaunte Menschen. Ich bitte Sie, das ist doch nicht lebensnah!“

Um sich wenigstens während dieser Zeit ein Hochgefühl zu gönnen, entwickelt er, ein für alle anderen Teilnehmer unleidliches Hobby. Er schließt sich in Bahnhofstoiletten ein, um dann von jedem Passanten der diese aufsuchen will, eine schriftliche Erklärung ihres Anliegens zu fordern. Möglichst auf deutsch. Das löst für gewöhnlich einen Tumult vor der Tür aus und das wiederum erfreut sein Herz. Wenn er dann später am Abend seiner Frau einen schriftlichen Bericht zur Kenntnis geschrieben hat, ist Fredenbek mit der Welt zufrieden. Und auch sonst ist er von sich als Person recht überzeugt. Von seinem Ordnungssinn kann sich so mancher eine Scheibe abschneiden. Mit seinem Wissen über verschiedenste Themen, speziell über das Seelenleben der Frau, welches er mit einer dunklen Grotte vergleicht, trumpft er gerne auf. Nur leider scheint sich niemand für seinen immensen Wissensschatz zu interessieren. Vielmehr behandeln ihn die Menschen als aussätzigen und das, obwohl seine Arbeit im höchsten Maße von Bedeutung ist.

Hans Fredenbek könnte einem fast leidtun, wäre er nicht durch seine belehrende Art so furchtbar unsympathisch. Obendrein noch unsensibel, neurotisch und pedantisch. Den ungehaltenen Worten, die aus ihm herauspoltern, könnte man Mutwilligkeit nachsagen. Doch wenn ich mir Hans Fredenbek in seinem farblosen Anzug - sitzend in seinem ebenso farblosen Büro vorstelle, wie er nach diesem einen, für ihn perfekten Radiergummi sucht, ohne welches er scheinbar nicht existieren kann. Und wie er sich immer mehr in fahrt redet, dabei in die wirrsten Gedankengänge verstrickt und diese unbedachten, rassistischen und sexistischen Äußerungen tätigt, kann ich diesen gar keine Gewichtung beimessen, weil er dabei so schrecklich naiv und ungelenk wirkt. Was zwischenmenschliche Sachverhalte angeht, scheint er mithin unbewandert, nahezu ignorant zu sein.

Mit Hans Fredenbek hat Marin Schörle, der selbst Verwaltungsbeamter ist, einen theatralischen und skurrilen Charakter geschaffen. Dessen Fantasie und den Was-Wäre-Wenn-Szenarien nicht selten ins absurde abdriften. Der sich in Animositäten verstrickt und vor seinem Leben außerhalb des Büros die Augen verschließt. Zunächst stand ich dem „Büchlein“ etwas skeptisch gegenüber, ich hatte die Befürchtung, das ohne den Akteur die Botschaft verloren gehen könnte. Doch dank Schörles bildhafter Sprache, und seinem wunderbar fließenden Syntax, konnte Hans Fredenbek auf meiner geistigen Bühne in Aktion treten und seinen knapp fünfzig Seiten langen Monolog halten, der an vielen Stellen nicht nur grotesk, sondern auch auf erschreckende Weise einleuchtend ist. Wie sonst kann man sich erklären das Telefonanrufe in Ämtern, meist ins leere laufen, wenn nicht, dass sich der zuständige Beamte unter dem Tisch versteckt sobald dieses klingelt. „Nichtalltägliches aus dem leben eines Beamten“ liefert für mich den Beweis das es sehr gut funktionieren kann ein Theaterstück lediglich zu lesen. So gut das mir dabei an vielen Stellen die Tränen vor lachen kamen.

Nach einer kurzen Unterbrechung, folgt das zweite Stück des Autors, „Einladung zum Klassentreffen“. Das Bühnenlicht erleuchtet Carsten und Marina, die beiden zentralen Figuren und einige wenige Nebendarsteller. Das Bühnenbild ist geteilt, Marina auf der einen Seite, die im Zug nach Hause sitzt, Carsten auf der anderen, vor ihrer Haustür, mit einem Strauss Blumen in der Hand. Marinas Handy klingelt, Carsten ist dran. Carsten, den sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, mit dem sie während des Abiturs ein Liebespaar bildete und der sie nun zu einem Klassentreffen einladen will. Das Gespräch verläuft zunächst ganz unverfänglich. Er bringt sie auf den neusten Stand was ihre ehemaligen Mitschüler angeht. Das der Kai jetzt bei der Meldebehörde arbeitet und Katharina, die damals als Radikalfeministin bekannt war, jetzt Pastorin ist und fünf Kinder hat. Doch ziemlich schnell wird das Telefonat intimer. Carsten gesteht ihr, dass er sie nie vergessen hat und seine Gefühle ihr gegenüber noch immer existent sind. Marina die von diesem Geständnis völlig überrumpelt ist, geht in Abwehrhaltung. Wird zynisch und schnippisch. Denn für sie ist dieser Abschnitt ihres Lebens lediglich eine Erinnerung und diese romantischen Gefühle längst verblasst. Doch angesichts Carstens Ehrlichkeit, schüttet nun auch Marina ihm ihr Herz aus. Erzählt von ihrer gescheiterten Ehe, dem unerfüllten Kinderwunsch, ihrer Fehlgeburt, dem Alkoholkonsum und den darauffolgenden Therapiestunden. Alles unter den wachsamen Ohren einiger Mitreisender, die völlig ungeniert dem Telefonat der beiden lauschen.

„Einladung zum Klassentreffen“ besticht hauptsächlich durch seinen dynamischen Dialogtext. Einem einfallsreichen, gut konstruierten Dialog, mit einem elegant eingewobenen Subtext. Doch so richtig warm wurde ich trotz Schörles gekonnter Erzählform weder mit Marina, noch mit Carsten. Sie war mir zu zickig, er mir zu gewollt gefällig. Leider war mir auch das grand finale zu weit hergeholt und etwas zu abwegig. Unrealistisch fand ich allerdings auch schon den Gedanken, dass man einer Person die man zwanzig Jahre weder gesehen, noch gesprochen hat, immer noch beziehungstaugliche Gefühle entgegenbringen kann. Doch ich darf dabei nicht vergessen, es ist ja immer noch ein Theaterstück, da sollte ich etwas Nachsicht walten lassen. Der Grundtenor des Stückes beinhaltet eine gewisse Tragik, die allerdings durch amüsante Einwürfe aufgelockert wird. Meine hauptschmunzel Nebenfigur war die ältere Dame im Nebenabteil des Zuges, die dann und wann ungefragt Bemerkungen zum Telefonat äußert. Alles in allem war „Einladung zum Klassentreffen“ ein abwechslungsreiches Stück in dessen Szenerie ich mich gut einfühlen konnte und dessen Hauptfiguren charakterlich geschickt ausgebaut wurden. Bleibt nur noch zu sagen, dass es sich für mich in jedem Fall gelohnt hat diese beiden Theaterstücke zu lesen, denn Martin Schörle ist ein wirklich Wortgewandter Autor, dessen feine Ironie mir sehr zusagt.

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